Interview with Michael Reth (German)
F: Der diesjährige internationale Tag der Immunologie ist geprägt von der weltweiten Covid-19 Pandemie und der Herausforderung, möglichst bald einen Impfstoff gegen das SARS-CoV2 Virus zu entwickeln. Sie haben sich schon seit längerem in ihren Vorlesungen mit weltweiten viralen Pandemien, wie der Spanischen Grippe 1918, beschäftigt. Was kann man aus dieser historischen Pandemie für die heutige Pandemie lernen und was sind die Unterschiede?
MR: „Ja, ich beschäftige mich seit mehr als 15 Jahren mit der Influenza Pandemie von 1918 und es hat mich immer gewundert, wie schnell die Welt diese Katastrophe mit mehr als 40 Millionen Opfern vergessen hat. In 2018 gab es ja viele Veranstaltungen zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, aber kaum jemand hat sich an die Spanischen Grippe erinnert. Die Ähnlichkeiten von damals zur jetzigen Covid-19 Pandemie sind schon frappierend und ich hätte im Februar dieses Jahres unseren Politikern und Entscheidungsträgern empfehlen sollen, einige der Bücher zur Spanischen Grippe von 1918 zu lesen. Das H1N1-Influenza-Virus traf 1918 in den USA (worüber die meisten Bücher geschrieben wurden) auf eine unvorbereitete Gesellschaft, die mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt ist. Die explosionsartige Ausbreitung des Virus im Oktober 1918 überforderte schnell das Gesundheitssystem. Die Reaktionen waren Geheimhaltung, Verdrängung und dann Versuche die Pandemie über „social distancing“, wie das Schließen von Schulen, Kirchen und Kinos und auch die Einführung einer Mundschutzpflicht aufzuhalten. Auch damals gab es „Fake-News“ (Deutsche Agenten hätten zum Beispiel die Krankheit mit U-Booten in die USA gebracht) und Wundermittel gegen die Erkrankung. Allerdings waren die effizientesten Krankheitsüberträger damals nicht Skifahrer, Karnevalisten, Fußballfans und religiöse Gemeinschaften, sondern Soldaten in den Kasernen und die Truppentransporte des Ersten Weltkrieges. Im Unterschied zu heute wusste man damals noch nichts über den Krankheitserreger und hatte auch keine Beatmungsgeräte. Wer durch eine fortschreitende Lungenentzündung Atemnot bekam und blau anlief konnte nicht gerettet werden und erlitt den „Purple Death“. Die Hauptopfer damals waren übrigens jüngere Menschen, während die Älteren (wahrscheinlich wegen einer früheren Bekanntschaft mit einem ähnlichen Virus) geschützt waren.“
Show more.
F: Wie reagierte die Wissenschaft damals?
MR: „Recht hilflos, da man den Krankheitserreger nicht kannte und kaum Wissen über das Immunsystem hatte. Allerdings hat man damals schon versucht einen Impfstoff aus Extrakten der Lunge von Verstorbenen zu entwickeln, der nicht funktionierte. Wie wir heute wissen, gibt es im Endstadium einer Influenza- oder auch Corona-Erkrankung kaum noch aktive Viren in der Lunge. Die weltweite Influenza-Pandemie von 1918 hatte jedoch eine nachhaltige Wirkung auf die weitere Entwicklung der biologisch-medizinischen Forschung und auch der Immunologie. Zum Beispiel der Nobelpreisträger Frank Macfarlane Burnet, der mit seiner klonalen Selektionstheorie als einer der Gründungsväter der modernen Immunologie gilt, erlebte die Influenza-Pandemie von 1918 als junger Medizinstudent in Melbourne, Australien. Er hat sich sein ganzes Forscherleben lang mit dieser Erkrankung beschäftigt und wichtige Beiträge zur Entdeckung und zum Nachweis des Influenza-Virus geliefert. Das Influenza-Virus wurde ja erst 1933 experimentell nachgewiesen und 1950 erstmalig im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht. Die Forschung braucht halt ihre Zeit und ist auf die Entwicklung neuer Methoden angewiesen.“
F: Wie reagiert die Wissenschaft heute auf die sich ausbreitende Corona Pandemie?
MR: „Im Gegensatz zu 1918 weiß man mittlerweile sehr viel über Viren und der von Ihnen ausgelösten Immunreaktion. Es hat nur wenige Tage gedauert, bis man in China die Genomsequenz des bis dahin unbekannten SARS-CoV2-Virus bestimmt hat. Leider gibt es zurzeit gegen dieses neue Corona-Virus weder ein spezifisches Medikament noch einen Impfstoff. Was ich allerdings in den letzten Wochen erlebe, ist eine enorme Mobilisierung vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jetzt ihre Forschungsprogramme umstellen und sich auf das Virus und dessen Interaktion mit unserem Immunsystem fokussieren. Dabei gibt es viele offene Fragen zum Virus und der von ihm ausgelösten Covid-19 Erkrankung. Warum haben viele SARS-CoV2-Infizierte einen milden Krankheitsverlauf, während andere eine fulminante Lungenentzündung entwickeln? Welche Rolle spielt das angeborene Immunsystem bei der Eindämmung der Virusausbreitung im Körper und bei der mit Covid-19 assoziierten Immunpathologie? Wie kommt es zum Zytokinsturm bei den schweren Verläufen der Covid-19 Erkrankung und wie kann man diese verstärkte Entzündungsreaktion des menschlichen Immunsystems verhindern? Wie manipuliert SARS-CoV2 das menschliche Immunsystem und wie kommt es bei Covid-19 zur Lymphopenie, d.h. zu einer verminderten Anzahl von Immunzellen im Blut? Wann und wie effizient wird das adaptive Immunsystem aktiviert? Ich denke, dass in den nächsten Wochen und Monaten viele Untersuchungen zu einem besseren Verständnis der SARS-CoV-2 Immunität durchgeführt werden und ich erwarte davon wesentliche neue Erkenntnisse.“
F: Wie gut ist denn die Immunantwort gegen das SARS-CoV2-Virus und sind Infizierte wirklich nach einer Infektion geschützt?
MR: „Das ist in der Tat eine der wesentlichen Fragen zur Einschätzung des weiteren Verlaufs der Corona-Pandemie. Um diese Frage zu beantworten, muss man in der Lage sein, den anti-viralen Immunstatus vieler Menschen zuverlässig zu bestimmen. Hier spielen auch Antikörper, welche bei der Ausbildung der humoralen Immunität bei der SARS-CoV2-Infektion entstehen eine wichtige Rolle. Die zurzeit durchgeführte Untersuchung auf anti-SARS-CoV2 spezifische Antikörper im Blut beruht entweder auf einem klassischen Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA), der nicht immer zuverlässige Ergebnisse liefert oder einem Immunfluoreszenz Assay der nicht im Hochdurchsatzverfahren durchgeführt werden kann. Um hier Abhilfe zu schaffen, versuchen wir in meinem Labor einen neuen Antikörpertest aufzubauen, der hoffentlich bessere Ergebnisse liefert. Zudem sind solche antikörperbasierten Nachweismethoden auch wichtig für die Austestung möglicher Impfstoffkandidaten. Mit unserem Assay könnte man auch die genauen Bindungseigenschaften von sogenannten monoklonalen anti-SARS-CoV-2-Antikörpern (mAb) testen. Die richtige Kombination solcher mAbs könnte als Therapeutikum eingesetzt werden. Zurzeit werden auch am Klinikum Freiburg Versuche unternommen, Covid-19 Erkrankte mit Blutseren von geheilten, ehemalig SARS-CoV-2-Infizierten zu behandeln und somit passiv den Immunschutz zu übertragen. Mit einem Cocktail hochspezifischer mAb könnte man diese Behandlung ersetzen und effizienter machen.“
F: Wie sieht es denn mit dem Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aus?
MR: „Wie in der Presse ja auch schon mehrfach dargestellt sind Impfstoffentwicklungen leider sehr zeitaufwendig, da jeder Impfstoff in mehreren Versuchsserien auf Verträglichkeit und Wirksamkeit getestet werden muss. Vor allen Dingen will man vermeiden, dass der Impfstoff die Krankheit eher fördert als verhindert. Ein Phänomen, das man leider bei Corona-verwandten Krankheiten in Form von verstärkenden Antikörpern (enhancing antibodies) beobachtet hat. Ich denke allerdings, dass man mit einer genauen Auswahl des Impfstoffes ein solches Problem umgehen kann. Die Jagd nach dem Impfstoff hat ja schon seit mehreren Wochen begonnen und es gibt mittlerweile mehr als 130 Firmen und Konsortien die an solchen Impfstoffen arbeiten. Viele dieser Konsortien können auf Vorerfahrung mit anderen Impfstoffen zurückgreifen, was die Herstellung eines solchen Impfstoffs beschleunigen wird. Allerdings ist auch hier die Arbeit und Expertise von Immunologen wichtig, um zu überprüfen wie genau das Immunsystem bei Geimpften im Vergleich zu SARS-CoV-2 Infizierten reagiert.“
F: Was ist denn das Besondere an der Immunreaktion gegen das Coronavirus SARS-CoV-2?
MR: „Eine Besonderheit dieser Erkrankung ist, dass das Immunsystem hier nur eine relativ kurzzeitige Immunität erzeugt. Eine der wesentlichen Eigenschaften der adaptiven Immunität ist die Erstellung eines immunologischen Gedächtnisses, die dafür sorgt, dass wir nur einmal eine bestimmte Erkrankung in unserem Leben bekommen oder zumindest über ein oder zwei Jahrzehnte geschützt sind. Die nach einer Infektion oder Impfung gebildeten immunologischen Gedächtniszellen und Antikörper sorgen dafür, dass wir ein weitgehend gesundes und infektionsfreies Leben führen können. Bei den bisher untersuchten Corona-Infektionen ist jedoch der Immunschutz relativ kurzfristig und die SARS-CoV-2 spezifischen Antikörpermengen nehmen innerhalb von 2-3 Jahren deutlich ab. Dies ist schon ungewöhnlich. Im Vergleich hierzu gibt es einen langjährigen Immunschutz gegen Influenzaviren. So konnte man z.B. in 90-100jährigen Personen, die als Kind mit dem H1N1-Influenzavirus von 1918 infiziert worden waren, noch Antikörper gegen das Virus nachweisen. Eine große Herausforderung der immunologischen Forschung wird es daher sein, zu verstehen, wie man die Immunität gegen Corona Viren verstärken und vor allem das immunologische Gedächtnis fördern kann um hier einen langjährigen Schutz zu erreichen.
Allerdings ist es so, dass RNA-Viren wie auch SARS-CoV-2 eine hohe Mutationsrate aufweisen und es daher immer wieder neue Virenvarianten geben könnte, die versuchen unserem Immunschutz zu entkommen. Aber auch hier hat die immunologische Forschung in den letzten Jahren durch Untersuchungen der Immunreaktion gegen das Human Immune Deficiency Virus (HIV), viel gelernt. So versucht man jetzt das menschliche Immunsystem auf hochkonservierte Bereiche von HIV zu fokussieren und dadurch einen breiteren Immunschutz zu erreichen. Es besteht daher die Hoffnung, dass man diese Erfahrung auch in der SARS-CoV-2 Pandemie einsetzen kann.
Durch die vom SARS-CoV-2-Virus hervorgerufene Covid-19 Erkrankung sind hauptsächlich die Älteren gefährdet, deren Immunsystem weniger gut auf neue Erreger reagiert. Es wäre wichtig, mehr über die Seneszenz des menschlichen Immunsystems zu erfahren und vielleicht neue Wege zu finden, die Immunität der Älteren zu verstärken. Dabei wäre es wünschenswert nicht nur jüngere, sondern auch ältere Probanden effizient zu immunisieren. Eine weitere offene Fragestellung ist, wie genau das menschliche Immunsystem bei der frühen Viruserkennung im Rachenraum reagiert und ob man diese lokale Immunität verstärken kann, so dass dieses Virus nicht in unsere Lungen gelangen kann.“
F: Was sind ihre Wünsche für die weitere Zukunft?
MR: „Die jetzige weltweite Corona-Pandemie markiert eine Zeitenwende, die unser Leben auf diesem Planeten verändern wird. Ich erwarte allerdings auch, dass es – wie nach der Spanischen Grippe von 1918 geschehen – eine Mobilisation der Wissenschaften geben wird um diese Krise zu meistern und beim nächsten Mal einen solchen Pandemie-Erreger besser eindämmen zu können. Wie der legendäre Nobelpreisträger Joshua Lederberg bemerkte, ist es ein Kampf zwischen unserem Verstand und der genetischen Vielfalt der Viren („our wits against their genes“), der darüber entscheidet, wie eine solche Pandemie abläuft. Dabei könnte nicht nur die virologische und immunologische Forschung, sondern auch die synthetische Biologie, die wir, mit dem Erfolg des Exzellenzclusters „Zentrum für biologische Signalstudien (BIOSS) hier in Freiburg etablieren konnten, einen wichtigen Beitrag leisten. So könnte man in der Zukunft nicht nur synthetische Impfstoffe, sondern auch synthetische anti-Viren herstellen, die ein sich exponentiell ausbreitendes Pandemie-Virus verdrängen und eingrenzen könnten. Des Weiteren wünsche ich mir an einem der nächsten Tage der Immunologie wieder einmal, wie 2005 unser Immunologenspiel „Viren in der Stadt“ durchführen zu können. Dabei zeigten wir anschaulich, wie unser Immunsystem effektiv die Ausbreitung eines Virus in der Stadt Freiburg verhindern kann.“
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